"Pop.documents"
von Lutz Hagestedt und Mischa Gayring (Hg.)
Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)
Marburg an der Lahn 2001
fences/before/mind
von: Andrea Diener
Ich fand mich letztens auf dieser Party wieder, von der ich dachte, sowas gibt's nur im Fernsehn. Sowas wird inszeniert, um Chio-Chips zu verkaufen, aber nein, meine Kommilitonin zieht gerade aus, und da ist es passiert, dass ich mich in dieser Szene wiederfinde, von der ich annehme, dass es ein Werbefilmsetting ist und ertappe mich dabei, wie ich mich bemühe, die Dinge möglichst fotogen in die Hand zu nehmen. Eine ganze Zeitlang geht das so. Um mich herum stehen Kunststudenten mit Hornbrillen und Britpopfrisuren und kontrollieren mich. Zumindest denke ich das. Alle sehen so sauber aus, irgendwie. Ich sehe aber keine Maskenfrau mit Puder. Die sind alle naturschön und naturentspannt und lehnten alle lässig in Türrahmen, soviele Türrahmen gibt es gar nicht in der Wohnung. Ich nehme mein wasserperlenbesprenkeltes Becks und setze an. Es ist lauwarm. Wahrscheinlich gar nicht zum Trinken gemacht, sondern zum gut ausschauen. Ich habs trotzdem getrunken. Und sitze in der Küche herum, weil ich mich da sicher fühle, ein herrlich profaner Ort, mit Wasserhähnen und Gasboilern und angegammelten feuchten Lappen. Um mich herum steht ein Wald aus lässigen Körpern in Türrahmen, also schieb ich die englischen Magnetworte ein bißchen am Kühlschrank herum, kleine Plättchen mit Substantiven, Adjektiven, Artikeln. me/frightened/garden/of/solace. My gibt es nicht. Ein blondes Mädchen drängelt sich zwischen die Kunststudenten und fängt an, von ihrem letzten Urlaub zu erzählen. Sie ist auf einer Mittelmeerinsel gewesen und hat sich dort mit zwei libanesischen Touristen angefreundet. Naja, angefreundet ist zuviel gesagt, die Libanesen fanden es cool, dass sie aus Deutschland kommt und meinten, wow, Hitler, der hätte das super gelöst mit der Judenfrage, sollte man sich ein Beispiel nehmen, und das Mädchen verbrachte den Rest seines Urlaubes damit, die vom Gegenteil zu überzeugen. Wie hat die das geschafft? Ich bohr meinen Finger unter die Kante von defence. Erst mal hat sie das nicht geschafft. Jeden Abend traf sie sich mit den beiden Jungs und redet auf sie ein von wegen Mitleid mit den Mitmenschen, Respekt vor Minderheiten und Akzeptanz anderer Volksgruppen, das ganze Programm. Aber nichts, immer wieder kamen die auf den Gedanken zurück: Hitler cool man. Erst am letzten Abend, meint sie, da zog sie dann schwere Geschütze auf: "Ihr Araber habt's doch so mit der Ehre", hat sie gefragt. Nicken. "Und Hitler, die Sau, hat uns Deutschen unsere Ehre genommen." Das hat gefruchtet. Sie haben verstanden. Ich beschließe, mir zu merken, wie man Arabern den Holocaust erklärt. Dann erzählt sie noch, wie es am Strand und sonstwo war und dass sie jetzt ins Solarium ginge, um die Bräune ein bisschen zu halten. brown/bottle/of/consciousness, schreib ich. face gibt es nicht. In einem Nebenraum mit Lampen, über denen Tücher hängen, treffe ich jemanden, den ich kenne. Da geht diese Werbefilmillusion endlich vorbei, denn in Werbefilmen kommen keine Leute vor, die man persönlich kennt. Der DJ hat mal mit mir zusammen ein Referat über Museumspädagogik gehalten, jetzt schiebt er Hebel mit der einen Hand und hält den Kopfhörer ans Ohr mit der andern. Er wippt im Takt. So sieht das bei DJs immer aus. Es gibt hundertfünfzig Arten, ein Brötchen zu verpacken oder ein Fenster in ein Haus zu bauen, nur wenn ein DJ am Arbeiten ist, sieht das merkwürdigerweise fast immer gleich aus. Wahrscheinlich weil ich nicht verstehe, was der da eigentlich macht. Wenn man wenige Asiaten kennt, sehen die für einen auch alle gleich aus, und man sieht nicht, ob jemand aus China ist oder Korea. Ich sehe im Moment nicht, was ich hier machen soll. lonely/head/seeking/brown/bottle. Lauwarm. Ich bring dem DJ eine mit, denn der muss ja arbeiten. Ist ja nicht zum Vergnügen hier. Ich schon, eigentlich. Die Dicke mit der schwarzen Wurstpelle an, wer hat die eigentlich eingeladen? Die passt irgendwie nicht hier her. Die hat weder Hornbrille noch hippe Frisur, die hat eine ganz ordinäre Dauerwelle auf dem Schädel und demnächst fällt ihr was aus dem Ausschnitt, wenn sie sich nicht vorher die Beine bricht mit ihren Absätzen. Außerdem schleppt sie eine Sektflasche mit sich herum, die sie zwischen ihren Redeschwallen und ihren Quiekern und was sonst noch rauskommt aus ihr immer wieder ansetzt, ohne lästigen Umweg übers Glas steckt sie sich den Flaschenhals in den Mund und lässt laufen, einfach in sich reinlaufen. Ich unterhalte mich mit dem Freund vom DJ. Aber ich kann meine Augen nicht lassen von der Sektnudel. Wie die sich produziert. her/desparate/mind/glowing. Das sag ich dem Kühlschrank, sonst niemandem. Der Kühlschrank, das ist meine Basisstation, da gibt es das lauwarme Bier und da ist immer ein warmes Wort für mich übrig. Oder auch mehrere. Die Dicke fällt jetzt über mehrere Leute drüber, die auf einer Matratze liegen, gleich neben der tuchverhüllten Lampe. Die Sektflasche ist zum Glück fast leergesoffen, sonst wären jetzt ein paar Leiber klebrig, so wie die die rumschwenkt. Warum guck ich auch immer so? Die ist ja erwachsen, die kann machen, was sie will. Solang sie nicht hier im hohen Bogen quer durchs Zimmer und am Ende auch auf mich drauf, aber ist ja auch egal. Der Freund vom DJ ist ganz nett, und man kann sich unterhalten über Kunstschulen, ein dankbares Thema, und er war auch am gleichen Gymnasium wie ich. Das Gespräch ist für die nächste, sagen wir mal: halbe Stunde gerettet. Wir vergleichen unsere Lehrer. Unsere Leistungsfächer. Unsere Hassmitschüler. Unser Leid im Schullandheim. Das besonders. Gerade sind wir beim wässrigen Kartoffelpüree der Landheimköchin angekommen, da fällt die Sektfrau in sich zusammen. Guckt mit leeren Augen nach unten und sitzt da. Mir gehen die Worte aus, und sag zu dem Freund vom DJ, dass ich mir ein Bier holen geh. Und sag dem Kühlschrank, now/fence/round/me, weil man ja irgendwo Grenzen zeigen muss, am besten fängt man da beim Kühlschrank an, und limits gibt es nicht und dann wär die Grammatik ja noch schlimmer und around war auch schon weg. Leider fehlen die Worte. Die Sektfrau kennt keine Zäune und keine Ehre. Die sitzt schwankend rum, und um sie herum lauter Männer. Die reden auf sie ein und einer fragt: "Gehts?" und sie nickt schwach, als könne sie ernsthaft nicht mehr. "Sollen wir Dir ein Taxi rufen?" fragt ein anderer, und ich denk, von dem würd ich mir auch ein Taxi rufen lassen, aber die blöde Nudel ist tatsächlich zu besoffen für irgendwas und da sitzt sie also und kämpft mit dem Würgen und mit den Tränen und was sonst noch alles und schüttelt den Kopf. Die will kein Taxi, die will im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehn, und wenns laut nicht mehr funktioniert, dann macht sie's auf die mitleidige. Natürlich lässt sie sich jetzt alles in den Arsch schieben. Die genießt das doch, dass die ganzen Kerle um sie rumsitzen und besorgt tun, weil sie ja schließlich Kunststudenten sind und da müssen sie sensibel sein mit Frauen in Not. Und die Sektfrau ist offenbar in höchster Not. hoch/not/peinlich. Das sollte ihr mal jemand sagen. Das sollte ich mal schaffen, mich so abzuschießen, aber das würde auch nichts helfen, denn wenn ich mich mal rettungslos betrinke, dann kommt jemand und haut mir auf die Schulter und findet es witzig, dass ich das nicht witzig finde, und dann sagt er irgendwas Lässiges und keiner, überhaupt keiner käme je auf die Idee, mich zu fragen, ob man mir ein Taxi rufen könnte. So ist das immer, wenn ich mich mal gehenlasse oder jemanden brauche. Dann hat nämlich keiner Mitleid mit mir. Auch nicht die sensiblen Kunststudenten. Deshalb bin ich auch so stinkig auf die Sektfrau. Und weil jetzt meine Laune völlig hin ist und weil ich mich in der Küche schon wieder dabei erwische, wie ich meine Körperhaltung kontrolliere, weil die alle gucken und weil ich keine Lust hab, mich von ein paar blöden Kunststudenten so begaffen zu lassen, was auch immer die gaffen, ob ich die richtigen Schuhe anhab oder ob mein Bauchfett hängt oder ob ich Hitler toll finde, keine Ahnung, auf jeden Fall eines noch: go/before/scream. Der Taxistand ist ja gleich vor der Tür.