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Inhaltsverzeichnis
Leseproben

Ästhetik der Unterwerfung

Sexualisierte Gewalt in deutschen Romanen der Gegenwart

von Michelle Hegmann

Hegmann-Cover
Verlag LiteraturWissenschaft.de
Marburg an der Lahn 2020
124 Seiten
ISBN 978-3-936134-68-1

Preis: 12,90

Verführung gilt seit jeher als ausgewiesenes Motiv der Weltliteratur, wohingegen der Vergewaltigung als literarisches Sujet bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Michelle Hegmanns Arbeit rückt sexualisierte Gewalt in den Mittelpunkt der Betrachtung und untersucht die literarische Inszenierung komplexer Gewaltzusammenhänge anhand von drei deutschen Gegenwartsromanen von Heinz Strunk, Karen Duve und Bettina Wilpert.

Das Buch ist am 7. Januar 2020 erschienen.


Zum Inhalt

Verführung gilt seit jeher als ausgewiesenes Motiv der Weltliteratur, wohingegen der Vergewaltigung als literarisches Sujet bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die germanistische Literaturwissenschaft lässt das Verhältnis von Sexualität, Gewalt und Macht in Erzähltexten zum größten Teil außen vor und konzentriert sich auf die Ästhetisierung der körperlichen Komponente. Michelle Hegmanns Arbeit rückt sexualisierte Gewalt in den Mittelpunkt der Betrachtung und untersucht die literarische Inszenierung komplexer Gewaltzusammenhänge anhand von drei deutschen Gegenwartsromanen von Heinz Strunk, Karen Duve und Bettina Wilpert. Der theoretischen Beschäftigung mit der Gewalt- und Machtforschung folgt eine textnahe Analyse der narrativen Ausdrucksformen von sexualisierter Unterwerfung.

Autorin

Michelle Hegmann studierte von 2012 bis 2016 den Bachelor „Literatur, Kultur, Medien“ mit „Medienwissenschaft“ als Nebenfach an der Universität Siegen. 2019 absolvierte sie den Master „Deutsche Literatur“ an der Universität Marburg und arbeitet seit 2017 als Redakteurin bei literaturkritik.de.

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung 7
1.1 Einleitung und Forschungsstand 7
1.2 Zur Auswahl der Primärliteratur 8
1.3 Forschungsfragen und methodischer Zugang 11

2. Theoretische Basis: Transdisziplinäre Voraussetzungen für
eine literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit
sexualisierter Gewalt 13
2.1 Der Gewalt- und Machtbegriff: Definitionen als
Forschungsproblem 13
2.2 Sexualisierte und sexuelle Gewalt: Definition und Abgrenzung 19
2.3 Vergewaltigung: Eine begriffliche Annäherung 23
2.4 Geschlechtsspezifische Gewalt und Definitionskatalog 27

3. Die fünf Stufen der Sprachgewalt: Karen Duves Macht 37
3.1 Vergewaltigen, um zu vernichten: Christines gewaltsame
Objektivierung 39
3.2 Psychische Unterwerfung zur sozialen Kontrolle:
Sebastians Gewaltlosigkeit als bindende Aktionsmacht 50
3.3 Die Ich-Teilung des Täters:
Duves poetologisches Spiel mit zwei Erzählern 57

4. Von der Stigmatisierung des männlichen Triebtäters und
dem Mythos des unglaubwürdigen weiblichen Opfers:
Bettina Wilperts nichts, was uns passiert 65
4.1 Der Roman als literarisches Protokoll:
Neutralität als Erzählstrategie 66
4.1.1 Diametrale Wahrnehmungen von Vergewaltigung:
Die Verunsicherung der Leser*innen 66
4.1.2 Literarische Details und Intertextualität:
Weitere Stilmittel zur Ästhetisierung von sexualisierter Gewalt 76
4.2 Gut vs. Böse? Wilperts Bruch mit Vergewaltigungsmythen 84

5. Wegsteckhühner, Tripperschicksen und Vergewaltigungschweiß:
Heinz Strunks Der goldene Handschuh 93
5.1 Ästhetik des Ekels:
Literarisierung eines tabuisierten Erlebnisbereiches 95
5.2 Die Zerstörung des freien Willens:
Versklavung als Extremform von sexualisierter Gewalt 108

6. Fazit und Ausblick 114
6.1 Auswertung der Analyse 114
6.2 Ausblick 116

7. Literaturverzeichnis 119

Leseproben

Aus der Einleitung:

„Gewalt! Gewalt! Wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was
Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt.“

Aus Sorge um ihre Ehre greift Emilia Galotti im gleichnamigen Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing zum Dolch, um der drohenden Gefahr einer Verführung durch den Prinzen zu entkommen, der sie sich nicht widersetzen könnte. Sie erklärt ihrem Vater, das Brechen des Willens einer Frau und der Raub ihrer Unschuld seien nicht mittels bloß körperlicher Gewalt, sondern nur durch sinnliche Verlockung zu erreichen. Verführung gilt literaturhistorisch seit jeher als ausgewiesenes Motiv und wird mit anderen Topoi wie ,Notzucht‘, der ,Femme fatale‘ oder ,Frauenraub‘ in Zusammenhang gebracht. Sucht man dagegen in einschlägigen Bänden nach den Stichworten ,Vergewaltigung‘ oder ,sexualisierte Gewalt‘ als Motive der Weltliteratur, so bleibt diese Suche ergebnislos. Obwohl diese Themen den Kosmos der Literatur durchziehen und im literarischen Erzählen dargestellt werden, werden sie in der Forschung nicht als Motive begriffen – auch wenn gewaltsamer Geschlechtsverkehr bereits in biblischen und antiken Texten eine wichtige Rolle spielt.

Wie eng verknüpft Verführung und Vergewaltigung sein können, zeigt Heinrich von Kleists Novelle Die Marquise von O… (1808), die das prominenteste Beispiel für die Repräsentation der Frage nach dieser Unterscheidung in der deutschsprachigen Literatur darstellt. Die Vergewaltigung – oder vielmehr die Auslassung der Erzählung derselben – stellt den Drehund Angelpunkt des Textes dar: Sie ist in erster Linie durch die Nicht- Benennung, also Abwesenheit, der sexuellen Handlung charakterisiert. Wenngleich Vergewaltigung in Die Marquise von O… im Zentrum steht, beschäftigt sich die germanistische Literaturwissenschaft größtenteils mit den damit verbundenen Kriegsdarstellungen und Verführungstopoi. Die deutschsprachige Forschung schenkt der ästhetischen Darstellung sexualisierter Gewalt in literarischen Erzähltexten bislang grundsätzlich nicht viel Beachtung. Thematisiert wird vorwiegend körperliche Gewalt, bei der die sexuelle Komponente keine oder kaum eine Rolle spielt – das Verhältnis von Sexualität, Gewalt und Macht scheint von sekundärer Bedeutung zu sein. Des Weiteren forschen viele Literaturwissenschaftler*innen zu sexuell konnotierten Misshandlungen in Kriegszeiten sowie zu Traumabewältigung hinsichtlich der Inhaltsebene – die Auseinandersetzung mit der literarischen Inszenierung der Gewalt selbst fällt verhältnismäßig knapp aus. Der Gegenstand Vergewaltigung ist zwar des Öfteren Teil einer literaturwissenschaftlichen Analyse, rückt zumeist jedoch nicht in den Fokus.

Zudem beschäftigen sich die wenigen vorliegenden Studien zu sexualisierter Gewalt in der Literatur vor allem mit Texten des 17. bis 19. Jahrhunderts.  Urania Milevski hält in ihrem 2016 erschienenen Buch Stimmen und Räume der Gewalt. Erzählen von Vergewaltigung in der deutschen Gegenwartsliteratur fest, dass neuere deutschsprachige Texte der Gegenwart bezüglich der Darstellungsweisen sexualisierter Gewalt noch nicht hinreichend erforscht sind. Aus diesem Grund widmet sie sich in ihrem Band deutschsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts und untersucht Werke wie Inka Parais Die Schattenboxerin (1999), Karen Duves Regenroman (1999) und Stefan Schütz' Schnitters Mall (1994). Erzählungen und Romanen, die nach 2000 erschienen sind, wurde bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb die vorliegende Arbeit diese Lücke schließen will, indem sie drei deutschsprachige Romane, die zwischen 2016 und 2018 veröffentlicht wurden, auf ihre literarische Darstellung komplexer Gewaltzusammenhänge hin untersucht.

(Teil der Einleitung ohne Fußnoten)