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Goethes Divan als Zyklus

von Friedrich Nemec und Wilhelm Solms

Goethes Divan als Zyklus
Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)
Marburg an der Lahn 2019
80 Seiten
ISBN 978-3-936134-66-7

Preis: 8,00

Goethes „West-östlicher Divan“ stellt einen Prozess dar, der, indem der Schluss an den Anfang zurückkehrt, zu einem Zyklus sich rundet. Diese Erkenntnis, die sich in der Divanforschung bis heute nicht durchgesetzt hat, wird hier skizziert.

Das Buch ist am 29. Januar 2019 erschienen.


Zum Inhalt

Siehe Leseprobe!

Autoren

Friedrich Nemec wurde an der Universität München mit einer Dissertation über Goethes „Wahlverwandtschaften“ promoviert und war nach seiner Habilitation Mitarbeiter der Neuen Deutschen Biographie.

Wilhelm Solms wurde, ebenfalls an der Universität München, mit Studien zu Goethes „West-östlichem Divan“ promoviert und war von 1977 bis 2001 Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien.

Inhaltsverzeichnis

Späteres Vorwort 7
Vorbemerkung 11

I. Expositionen des West-östlichen Divan 15
II. Gegensätze (Buch des Sängers) 23
III. Teil – Ganzes (Urelemente) 35
IV. Der Prozeß des Ganzen 47
V. Die Noten als Spiegel des Divan 73

Anmerkungen 79


Leseproben

Späteres Vorwort

Der folgende Essay ist die Nachschrift eines Ferienkurses vom April 1964 in Schloss Pfünz bei Eichstätt, die wir allen Teilnehmer/innen als ein „Manuskript für Freunde“ gegeben haben. Warum wird er nun, nach 54 Jahren veröffentlicht?
Wir haben dort die These vertreten, dass Goethes West-östlicher Divan einen Prozess darstellt, der, indem das Ende an den Anfang zurückkehrt, zu einem Kreis oder Zyklus sich rundet. Goethe hat dafür in dem Gedicht Lied und Gebilde das Bild des sich ballenden Wassers gegeben, das zu den festen Formen der klassischen und zu den leicht dahin fließenden Liedern der persischen Poesie eine Synthese bildet. Wir haben dies an der Folge der Gedicht-Bücher, an einzelnen Gedichten wie Hegire und Höheres und Höchstes, an Stilmerkmalen und poetischen Metaphern sowie an der Einleitung illustriert. Wir haben damit aber noch nicht nachgewiesen, dass Goethe das gesamte Werk, „des Divans Poesie und Prose“, als einen solchen Zyklus komponiert hat.
Inzwischen sind mehrere Werke über Goethes West-östlichen Divan erschienen, in denen für oder gegen einen „Zyklus“ plädiert wird wie in den Kommentaren von Hendrik Birus und Karl Richter in der Frankfurter und der Münchner Ausgabe. Birus lässt zwar Cervenkas „rein formal“ verstandenen „Zyklus“-Begriff gelten, wendet sich aber vehement gegen nicht weniger als acht Autoren, die von einem Zyklus sprechen (FA 3, S. 736f.), mit dem Argument: „Tatsächlich bedeutet der aus dem Arabischen entlehnte Titel Divan dort (…) genau das, wovon man den West-östlichen Divan als ‚Zyklus‘ – entweder als Ganzes oder in seinen zentralen Büchern – grundsätzlich geschieden haben wollte: ‚(Ver-)Sammlung‘.“ (FA 3, 738)
Seine Kritik dürfte großenteils zutreffen, sein Gegenvorschlag tut dies nicht. Auch wenn „Divan“ sowohl „Sammlung“ als auch „Versammlung“ bedeutet, lassen sich diese Worte nicht gleichsetzen.
Das persische „diwan“ bedeutet ursprünglich „schreiben“ und von daher Gedichtsammlung, aber auch Amtszimmer, Ratsversammlung oder Staatsrat und schließlich Sofa. Sind die Ratsherren versammelt, sitzen sie auf den Sofas, die an den Wänden des Amtszimmers stehen, und bilden so einen Kreis.
Goethe versteht seinen Divan nicht nur als Versammlung von Gedichten, sondern auch als Ratsversammlung und stellt den östlichen dem westlichen Rat, den Reichsrat des persischen Despoten Mahmud von Gasna dem geheimen Rat des Herzogs Carl August in Weimar einander gegenüber. „Die Geschäftsführung sodann unter despotischen Regenten blieb (…) immer gefahrvoll, und ein Kanzleiverwandter bedurfte so viel Mut, sich in den Divan zu bewegen, als ein Held zur Schlacht“. Dagegen urteilt er über den westlichen Dichter: „Seine glückliche Lage überhob ihn jeden Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Gebietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein.“
Der West-östliche Divan ist auch eine Versammlung der Gläubigen, genauer: derer, die an den einen Gott glauben. Der Dichter sagt den „Brüdern“ in der Rolle des Parsen:
     Und was nur am Lob des Höchsten stammelt,
     Ist in Kreis’ um Kreise dort versammelt.
Dabei sucht er selbst dazu beizutragen, dass die miteinander verstrittenen Anhänger der beiden größten monotheistischen Religionen zusammenkommen.
     Wenn Islam Gott ergeben heißt,
     Im Islam leben und sterben wir alle.
In Höheres und Höchstes, wo der Dichter das in Hegire angekündigte Ziel seiner Reise erreicht hat, spricht er den Wunsch aus:
     Und so möcht’ ich alle Freunde,
     Jung und alt, in Eins versammeln
Wenn sein Divan das in der Einleitung erhoffte unmittelbare Verständnis gefunden hat, erst dann ist, wie in unserem Beitrag ausgeführt wurde, aus dem „Manuskript für Freunde“ nicht ein Buch, wie er im Wiesbadener Register geplant hatte, sondern das „Buch der Freunde“ geworden.
Wie Goethe mit diesen Zitaten zeigt, versteht er das Versammeln der Gedichte als einen Prozess, der erst am Ende oder in der Zukunft zu einer Versammlung führt.
Karl Richter hält im Kommentar der Münchner Ausgabe gegen den Einwand von Birus daran fest, dass die Divan-Gedichte ebenso wie andere Alterswerke „einen sorgsam komponierten Zyklus“ bilden, und begründet dies mit dem Satz: „Die Einheit des Divans ist (…) eine solche der Gegensätze“ (MA 11.1.2, S. 322). Er konstatiert Gegensätze sowohl bei den Themen – „religiöse Thematik und weltfrohe Sinnenfreude“, „Ernst und Scherz“, „das Schöne und das Hässliche“, das Hohe und das Niedere“ –, als auch bei dem lyrischen Ton – ein „esoterisch-feierlicher“ und ein „alltagsnaher lyrischer Ton“ –, und bei den metrischen Formen – „Liedform“ und „spruchhafte Lyrik“ sowie bei den poetischen Bildern – „Symbole“, „Gleichnisse“, aber auch „Allegorie“ (MA 11.1.2, S. 322-325). Richters Beobachtungen sind allesamt zutreffend, sie berücksichtigen aber nicht den Prozess des Ganzen, der den Wechsel der Themen, der Formen, der Töne und der Bilder bestimmt. So sind die Bilder im Buch des Sängers Symbole, deren Sinn auch dem Dichter noch verborgen ist, und im Buch Suleika und im Schenkenbuch Allegorien, die der Poet als Prophet der Geliebten und dem jungen Schenken deutet.
So ließe sich der Prozess des Divan am Wandel sämtlicher Merkmale ablesen. Da dies bisher nicht geleistet wurde, veröffentlichen wir den vor 53 Jahren gemeinsam verfassten Beitrag.